Ungerechtigkeit und Ausbeutung der Preis für Technologieoffenheit und Business-as-usual
Was ist grüner Wasserstoff?
Wenn Wasserstoff verbrannt wird, entstehen keine klimaschädlichen Emissionen und die Energie aus der Verbrennung kann genutzt werden, um zum Beispiel Motoren zu betreiben. Deswegen wird er als alternativer und klimafreundlicher Energieträger gehandelt. Bisher allerdings entstehen bei der Herstellung von Wasserstoff oft eine Menge Emissionen, weil er aus fossilen Energiequellen hergestellt wird. Dieser Wasserstoff wird „grauer Wasserstoff“ genannt. Er ist alles andere als klimafreundlich. „Grüner Wasserstoff” dagegen ist Wasserstoff, der mit erneuerbaren Energien hergestellt wird. Dazu wird Wasser mit Solar- oder Windstrom in Wasserstoff und Sauerstoff aufgespalten, dabei entstehen keine Emissionen. Dieser Vorgang wird Elektrolyse genannt. Im Gegensatz zu Strom lässt sich Wasserstoff, wie Benzin lagern. So lässt er sich nutzen, wann und wo er gebraucht wird. Für eine schnelle Energiewende wird grüner Wasserstoff immer häufiger als Lösung für unterschiedliche Herausforderungen gesehen. Er soll Klimaneutralität eine saubere Energieversorgung und die Entkopplung von Wachstum und Kohlenstoffemissionen möglich machen. Kein Wunder also, dass die EU, Deutschland und andere Industrieländer diesem vermeidlichen Alleskönner verfallen sind. Es wird erwartet, dass der globale Markt für die Wasserstoffproduktion bis 2030 um bis zu 9,2 % pro Jahr wachsen wird. Besonders da wo es schwer ist CO2 einzusparen, wie in der Schwerindustrie und im Verkehrssektor, wird auf grünen Wasserstoff als alternativen Brennstoff gesetzt. Zwischen der Begeisterung für diese technologische Klimalösung und den möglichen Folgen für Gesellschaft und Umwelt klafft jedoch eine große Lücke. Außerdem hinkt es an der Umsetzbarkeit.
Wie gerecht ist „Grüner Wasserstoff“?
Die Produktion von Wasserstoff ist eng mit verschiedenen Fragen der Gerechtigkeit verknüpft: Dazu gehören Fragen der Energie-, der Wasser- und der Umweltgerechtigkeit, genauer des Zugangs zu und der Verteilung von Energie sowie die Frage, wie und von wem Entscheidungen getroffen werden. Auch Landrechte, Wasserverteilung und Meeresökosysteme spielen hier eine Rolle. Wasserstoffversorgungsketten tragen dazu bei, dass es zu einem ungleichen Austausch von Umweltbelastungen kommt. Deutschland und die EU können sich zwar die Wasserstofftechnologien leisten, es fehlt jedoch an Rohstoffen, um ihn selbst herzustellen. Es gibt nicht genügend erneuerbaren Strom. Länder in denen die Bedingungen besonders gut sind um Wind- und Solarstrom zu erzeugen sind dafür vorgesehen durch Exporte die deutsche Wasserstoffstrategie möglich zu machen. Dazu zählen unter anderem Länder in Afrika, Lateinamerika und im Nahen Osten. Damit entstehen nicht nur neue Abhängigkeiten, sondern das Erreichen der europäischen Klima- und Energieziele wäre gekoppelt an Ungerechtigkeit, Ausbeutung und Neokolonialismus. Zudem bräuchte es ungleiche Machtverhältnisse und sozial-ökologische Verflechtungen in den Ländern des globalen Südens, um zu funktionieren.
Beispiel Marokko
In Marokko gibt es viel Sonne. Eine gute Grundlage also, um daraus CO2-neutralen elektrischen Strom zu gewinnen. Marokko gilt als Vorreiter in Afrika und weltweit in der Klima- und Energiepolitik, mit ambitionierten Zielen zur CO2-Minderung und einem Fokus auf erneuerbaren Energien. Nun strebt das Land auch an, sich als führender Produzent von grünem Wasserstoff zu etablieren, um von der steigenden Nachfrage zu profitieren. Ein vermeidlicher Vorteil hier ist, dass die Abnehmerländer, in Europa, in direkter Nachbarschaft liegen. Zwar steht in Marokko der größte Solarkomplex der Welt, Noor, doch bisher fehlt es auch hier für eine groß angelegte Wasserstoffproduktion an ausreichend Strom aus erneuerbaren Quellen. Auch Süßwasser ist in Marokko nicht in ausreichenden Mengen vorhanden. Schon ohne die Wasserstoffproduktion gibt es lokale Konflikte um Wasser und die kleinbäuerliche Landwirtschaft muss sparsam damit Haushalten. Das heißt es müssten Meerwasserentsalzungsanlagen gebaut werden. Das hat nicht nur einen Einfluss auf empfindliche Meeresökosysteme, es ist auch, wie die Elektrolyse, zur Wasserstoffgewinnung, eine stromintensive Angelegenheit. Es braucht also noch mehr elektrischen Strom und damit es wirklich grüner Wasserstoff ist, muss auch dieser aus erneuerbaren Quellen kommen. Es müssen also massiv Kapazitäten geschaffen werden, um erneuerbare Energien zu erzeugen. Und das braucht vor allem eines: Land. Schon in der Vergangenheit hat es in Marokko Landraub wegen erneuerbarer Energien gegeben. Das Land beispielsweise, auf dem nun der weltgrößte Solarkomplex steht wurde von einer indigenen Gruppe gemeinschaftlich genutzt. Mit dem Bau der Anlage ging die Verwaltung der 3000 Hektar von gemeinschaftlich organisierten an staatliche und marktwirtschaftliche Institutionen. Land und Ressourcen wurden kommerzialisiert. Lokale Institutionen hatten damit nichts mehr zu sagen und der Zugang zum Land für die Gemeinschaft wurde eingeschränkt. Proteste gegen den Landraub und die Forderungen nach einer gerechten Beteiligung an den Vorteilen der Projekte waren erfolglos. Beachtenswert ist hier, dass der Bau des Solarkomplexes Noor stark aus Europa gefördert wurde. Die deutsche Kredit und Förderbank (KfW) trug gut ein Drittel der gesamten Investitionen. Nicht nur im Fall Noor ist die gesellschaftliche Teilhabe an Erneuerbare-Energien-Projekten in Marokko nicht ausreichend gegeben. Der Ausbau der erneuerbaren Energien in Marokko ist einerseits marktgetrieben und andererseits zentralistisch organisiert. Vor allem zwei große Akteure haben eine Monopolstellung bei Solaranlagen. Insbesondere einer dieser Akteure verfügt neben den erneuerbaren Energien auch über fossile Strukturen und hat wenig Interesse, diese abzuschalten. So ist es nicht unwahrscheinlich, dass der europäische Wasserstoffboom dazu führt, dass grüner Strom, sei es elektrisch oder in Form von Wasserstoff, nach Europa exportiert wird, während der heimische Bedarf mit Kohlestrom gedeckt wird. Dies ist ein typischer Fall von Umweltungerechtigkeit: Die Gemeinschaften in Marokko müssen mit den Nachteilen leben, während Europa sich die Vorteile einkauft und damit ein „business as usual“-System grün wäscht.
Also?
Ja, grüner Wasserstoff ist klimaneutral und kann Teil einer Energiewende sein. Aber die direkte Nutzung von Solar-, Wind- oder anderem erneuerbarem Strom ist effizienter als der Umweg über Meerwasserentsalzung, Elektrolyse und Verschiffung. Die Wasserstoffproduktion in sonnenreichen Ländern des globalen Südens schafft neue Abhängigkeiten und Ungerechtigkeiten entlang der Lieferkette. Es muss also darum gehen, gerechte Lösungen zu finden. Davor allerdings ist es unausweichlich, den Bedarf an Brennstoffen zu senken. Wir brauchen eine Umwelt- und sozialverträgliche, eine gerechte und solidarische Lebensweise. Wir dürfen nicht zulassen, dass Konzerne ihre Wirtschaftsweise und ihre Kapitalvermehrung auf Kosten anderer betreiben. Denn kein technisches Wundermittel kann das kaputte System des Wirtschaftswachstums und der Ausbeutung reparieren oder Wohlstand und Wachstum entkoppeln. Wir brauchen ein System, dass nicht Wachstum, sondern Wohlergehen für alle als höchste Priorität hat und sich daran orientiert.
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https://doi.org/10.1088/1748-9326/ac991a (englisch)
https://www.bundesregierung.de/breg-de/schwerpunkte/klimaschutz/wasserstoff-technologie-1732248