Über die letzten etwa 15 Jahre gab es bereits Proteste, wenn alte Kohlekraftwerke einfach durch neue ersetzt werden sollten. In vielen Städten entschieden sich darum Stadtwerke dafür, stattdessen auf neuere Gaskraftwerke zu setzen. In Kiel wurde der Umschwung 2013 auf die Planung eines neuen Gaskraftwerks und die Inbetriebnahme 2020 von Anfang an als Riesenschritt für die Energiewende beworben.1 Auch in Flensburg ließen sich die Stadtwerke für ihre Umrüstung des Kohlekraftwerks zu einem Gaskraftwerk ebenso als Klimaretter feiern.2

Das reiht sich ein in den generellen Markttrend: Die Erdgasförderung legte global im Jahr 2018 um 5,2% zugelegt, wobei das jährliche Wachstum in den 10 Jahren davor im Schnitt 2,3% betrug.3 Gleichzeitig wird die Gas-Infrastruktur europaweit ausgebaut (Neue Pipelines und LNG-Terminals). Und wo ein Umstieg auf Erdgas ist, da sind die Phrasen von „Energiewende“, „Brückentechnologie“ und „Nachhaltigkeit“ nicht weit.

Besetzung einer Pipeline-Baustelle bei Wrangelsburg (Mecklenburg-Vorpommern) im Mai 2019

Die Klimaforschung sieht das allerdings anders – Spätestens seitdem Erdgas um 2014 herum in ihren Fokus rückte. Bei der Förderung und dem Transport des Erdgases entweichen zwischen 1,7% und 6% des Gases, das zu allergrößten Teilen aus Methan besteht. Bei Frackinganlagen sind es sogar 3,6% bis 7,9%. Das Prekäre dabei: Methan hat in den ersten 20 Jahren in der Atmosphäre eine etwa 80-100 mal so große Treibhauswirkung wie CO2. Selbst bei einem Methanverlust von nur 2% und einer Treibhauswirkung, die nur 80-mal höher ist, beträgt die produzierte Menge Treibhausgas (in CO2-Äquivalent) über 20 Jahre also bereits 190% eines vergleichbaren Kohlekraftwerks, bei 6% sind es 510% – Wenn man davon ausgeht, dass Erdgas 70% CO2-ärmer verbrennt.4

Selbst wenn die Zahlen nur ungefähr passen – denn eine große Forschungslandschaft gibt es bisher für Erdgas im Klimakontext nicht – ist die ökologische Faktenlage eindeutig. Da werden zwei Dinge unverständlich: 1. Wieso geht die Marktentwicklung dann momentan so rasant in Richtung Erdgas? 2. Wie konnte das überhaupt als Klimaschutzmaßnahme verkauft werden?

Zuerst zum zweiten Punkt. Das Kalkül ist sehr einfach: Öffentlich werden nur die geringeren CO2-Emissionen beworben – „70% weniger als bei Kohle“, sagen die Stadtwerke Kiel im Bezug auf ihr neues Küstengaskraftwerk.5 Das bestreitet auch niemand, aber unser Klima hängt nicht nur und nicht in erster Linie von CO2 ab. Methan, Grundwasserverseuchung und Co.: Wir können unseren Planeten auch mit Erdgas zerstören, wenn die CO2-Werte grandios sind.

Dazu gesellen sich die übrigen rhetorischen Tricks der Öffentlichkeitsarbeit: Der Technik-Chef der Stadtwerke Kiel, Jörg Teupen, räumte zwar ein, dass bei der Verbrennung des Gases geringe Mengen Methan entweichen würden, doch das ändere nichts daran, dass das neue Kraftwerk erheblich klimafreundlicher sei als das alte.6 Das hatte auch niemand behauptet. Es geht um Methanaustritte bei Förderung und Transport, die sich nicht gänzlich verhindern lassen.

Soviel zum zweiten Punkt. Für den ersten Punkt muss etwas weiter ausgeholt werden. Wie 2015 öffentlich wurde7 verdankt sich der Umschwung der EU-Energiepolitik hin zum Erdgas zu großen Teilen intensiver Lobbyarbeit von BP, Shell und Co., die seit mindestens 2011 laufen. So wurden 2014 Investitionen und Subventionen für die Erneuerbaren weitestgehend gekappt und national bindende Ziele dazu liefen 2020 aus – ohne Ersatz.8 So zahlte dann die Europäische Investitionsbank auch den Löwenanteil des 290 Millionen Euro schweren Projekts an der Kieler Förde: 105 Millionen kamen aus EU-Geldern.

Die Bundesregierung handelt ebenso auf dieser Linie: 2012 wurde das Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz geändert. Die Förderung für alle Anlagen, die Strom und Wärme erzeugen und nicht bereits nach Erneuerbare-Energien-Gesetz gefördert werden, wurde fast verdoppelt. Und nicht zuletzt der CO2-Preis des Emissionshandels lässt Erdgas auf dem Markt ziemlich gut da stehen, weil er Methan nicht einbezieht und Vorkettenemissionen im Ausland sowieso nicht. In dieser Situation kann ein Unternehmen, das strukturell nach Profit streben muss, also kaum anders, als nun den Erdgashype auszunutzen.

Ohne strukturelle Veränderungen unseres Wirtschaftssystems müssen die notwendigen Änderungen also immer gegen den Markt und seinen stetig steigenden Ressourcen- und Energieverbrauch durchgedrückt werden. Wie könnten dann aber Alternativen aussehen, von denen die Stadtwerke behaupten, es gäbe sie nicht? Die Zukunft der Energieversorgung liegt sicherlich in eher dezentralen Energien, beispielsweise in Photovoltaikanlagen auf allen geeigneten Dächern der Stadt, aber auch im Ändern und Einsparen unsinniger Produktion. Ernsthafte Überlegungen in die Richtung gibt es jedoch kaum und es ist kaum glaubhaft, dass ein neu gebautes Erdgas-Kraftwerk nur wenige Jahre laufen soll, wie der Begriff „Brückentechnologie“ vielleicht suggerieren mag. Natürlich brauchen wir auch „Backup-Kraftwerke“ für den seltenen Fall dass der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint. Dafür müssen aber 1. Gaskraftwerke nur selten tatsächlich angeschaltet werden und 2. sollten sie dann KLIMANEUTRALES Gas verbrennen. Dafür gibt es 2 sinnvolle Optionen (Biomasse ist nicht sinnvoll): 1. Wasserstoff aus erneuerbaren Energien 2. Methanverbrennung mit einem CO2-Kreislauf. Gaskraftwerke werden zurzeit aber nicht so gebaut, dass sie Wasserstoff verbrennen können, oder dass das CO2 hinten aufgefangen, und dann zusammen mit Wasserstoff wieder zu Methan verarbeitet wird.

Sektempfang „Vollgas in den Untergang“ zur Kraftwerkseinweihung in Kiel, Januar 2020

Wir als Klimagerechtigkeitsbewegung dürfen uns diesen Unsinn nicht mehr verkaufen lassen, nur weil ‚Kohleausstieg‘ draufsteht – den wir natürlich unterstützen. Wir wollen einen ehrlichen Diskurs zu Erdgas und vor allem: Wir wollen ernsthafte Bemühungen sehen, dass auch die Erdgas-Kraftwerke so schnell wie möglich umgerüstet oder durch tatsächlich nachhaltige Alternativen ersetzt werden – einen konkreten Ausstiegsplan aus fossilem Erdgas.

Fußnoten

1Segeberger Zeitung: „Gas macht Kohlezüge überflüssig“ (27.10.2013)
Kieler Nachrichten: „Küstenkraftwerk K.I.E.L: Das modernste Europas“ (11.11.2016)

2Genaueres nachzulesen auf der Website der Stadtwerke Flensburg, u.a. unter „greenCO2ncept“

3BP: „BP Statistical Review of World Energy“ (2019)

4Howarth, R. W.: „A bridge to nowhere: methane emissons and the greenhouse gas footprint of natural gas“ in: Energy Science & Engineering 2 (2), 2014.

5So u.a. auf ihrer Website unter „Küstenkraftwerk“

6Kieler Nachrichten: „Bunte Party als Demo gegen Erdgas“ (17.01.2020)

7The Guardian: „BP lobbied against EU support for clean energy to favour gas, documents reveal“ (20.08.2015)

8Verweise im Guardian-Artikel, u.a.: Communication from the Commission: „Guidelines on State aid for environmental protection and energy 2014-2020“. OJ C 200 (28.06.2014)